Heute gibt’s einen Gastartikel von Nils von Nils Terborg.
Freie Liebe, was war das nochmal?
Die meisten werden da direkt an Hippies und Rainer Langhans‘ Kommune 1 denken. Wo Uschi Obermaier mit ihren Eifersuchtsproblemen zu kämpfen hatte und gerne die Tür zur Toilette schließen wollte.
Auch wenn es aus heutiger Sicht etwas skurril wirkt:
Das waren spannende soziale Experimente. Aber ich finde: Wirkliche Freiheit sieht anders aus und kann nicht darin bestehen, dass mir schon wieder Vorschriften gemacht werden, wie ich zu leben und zu lieben habe…und vermutlich wird es auch nicht dein Plan sein, eine Kommune zu gründen!
In den nächsten 4 Minuten geht es also um zwei Fragen:
- Was heißt freie Liebe wirklich und was kannst du tun, wenn du dich in deinem Liebes-, Beziehungs- und Sexleben eher eingeschränkt fühlst und gerne mehr Freiheit hättest?
- Ist es sinnvoll, eine Beziehung absolut frei zu gestalten oder ist absolute Freiheit sowieso eine Illusion?
Die Liebe ist ein Kind der Freiheit
Das klingt erstmal irgendwie schön und sogar logisch. Eine „eingesperrte“ oder unfreie Beziehung mag sich niemand so recht vorstellen.
Trotzdem denken wir, wenn wir die Wörter frei und Liebe verwenden, immer schnell an das Thema offene Beziehung.
Das ist ein spannendes Thema und ich glaube auch, dass das für viele Menschen eine sehr schöne Art der Beziehung sein kann.
Davon abgesehen finde ich die Frage spannend, wie sich Liebe in allen Beziehungen freier gestalten lässt– egal ob sie monogam oder polygam sind.
Was ist freie Liebe in nicht-monogamen Beziehungen
Wenn zwei Partner die Abmachung treffen, dass Sex nicht nur innerhalb der Partnerschaft, sondern auch mit anderen stattfinden darf, dann bezeichnen die meisten das als polygame oder offene Beziehung.
Wenn es sogar mehr als zwei Partner sind, die miteinander eine Liebesbeziehung führen, dann kennen wir das als Polyamorie.
Aus meiner Sicht sind polygame oder polyamore Beziehungen die einzigen Formen, in denen theoretisch maximale Freiheit der Partner möglich ist.
Und klar, beides klingt erstmal sehr frei, für die meisten vielleicht sogar zu frei.
Gibt es die maximale Freiheit?
Aber natürlich gibt es auch hier oft Zwänge und Regeln. Viele polyamore Paare haben zum Beispiel einen sehr strikten Zeitplan, um die vielen Termine unter einen Hut zu bekommen.
Dass man dann zu einem bestimmten Termin auch Lust auf einen bestimmten Partner hat, ist vermutlich nicht immer der Fall. Und ein Leben, in dem auch die Freizeit nach Plan abläuft ist natürlich auch nicht mehr so frei.
Wir merken schon, maximale Freiheit ist nicht so einfach umsetzbar!
Übrigens: Wenn Zeitorganisation in deiner Beziehung für dich auch ein Thema ist, dann hilft dir vielleicht mein neues Buch Beziehung im Stress? Mit Work-Love-Balance in 7 Schritten zu mehr Zeit für deine Partnerschaft!
Können wir was von solchen Paaren lernen?
Trotzdem machen solche Paare auch vieles richtig:
- Besitzdenken gibt es dort eher selten und auch Eifersucht ist in der Regel ein kleineres Thema, als in traditionellen Beziehungen – was nicht heißt, dass es sie dort nicht geben würde.
- Und die meisten Menschen fühlen sich auch innerhalb einer Beziehung auch mal zu einem anderen Menschen als dem Partner hingezogen, das ist auch bei glücklichen Beziehungen völlig normal. Hier wird damit sehr offen umgegangen, was die Sache im Endeffekt erleichtert.
- Und in so einem Fall gibt es bei Paaren in offeneren Beziehungen natürlich auch eine größere Freiheit.
Wo liegt die Grenze zwischen erlaubtem Seitensprung und offener Beziehung?
Vor allem den Punkt der strikten Monogamie finde ich wichtig. Natürlich ist das eine sehr individuelle Entscheidung, aber ich selbst bin für mich zu dem Schluss gekommen, dass ich meine Beziehung niemals beenden würde, nur weil mein Partner einmal mit einer anderen Person Sex hat.
Ich kenne die Statistiken und weiß, wie oft Menschen hierzulande fremdgehen – in Kurzform: Das Risiko, dass meine (normalerweise dann glückliche) Beziehung durch so etwas zerstört wird, ist mir einfach zu hoch.
Ich finde also, dass es einen Unterschied gibt zwischen „wenn halt mal was passiert, dann ist das kein Drama“ und „ich habe jede Woche Sex mit 5 verschiedenen Leuten und das ist mit meinem Partner so abgesprochen“.
Ziehe da am besten für dich ganz bewusst eine Grenze – die strikte monogame Norm ist für viele sicherlich nicht die beste Lösung!
Ist der Wunsch nach freier Liebe nicht nur Bindungsangst?
Um ehrlich zu sein finde ich die Diskussion um das Thema Bindungsangst nicht fair. Denn der Wunsch nach Freiheit ist eine sehr individuelle Vorliebe.
Und manche Menschen haben ein sehr starkes Bedürfnis nach Freiheit, was völlig normal sein kann. Es wird dann schnell pathologisiert und mit dem Label Bindungsangst versehen.
Davon muss man sich nicht abschrecken lassen, eine Beziehung nach eigenen Vorstellungen zu führen. Beantworte doch einmal für dich diese beiden Fragen:
- Ist es okay für dich, deinem Partner zu versprechen, dich nie wieder in deinem Leben in jemand anderen zu verlieben?
- Ist es okay für dich, in deinem restlichen Leben allein mit deinem Partner Sex zu haben?
Die Antworten können dir auf dem Weg zu einer Beziehung nach deinen eigenen Vorstellungen helfen!
Geht freie Liebe auch monogam?
Ich denke, dass auch eine traditionelle monogame Beziehung sehr erfüllend sein kann. Denn die wichtigsten Eigenschaften von glücklichen Beziehungen sind meiner Erfahrung nach Loyalität, ausreichend gemeinsame Zeit und gute Gespräche.
Freiheit heißt für mich in diesem Zusammenhang also auch Offenheit. Hast du in deiner Beziehung die Freiheit, über alles zu sprechen, was für dich ein wichtiges Thema ist?
Diesen offenen Umgang miteinander finde ich letztlich viel wichtiger als die Frage, ob man denn jetzt mit Personen außerhalb der Partnerschaft Sex hat oder nicht.
Und für viele Paare ist das ein ausreichendes Maß an Freiheit!
Fazit: Kommunikation, Ehrlichkeit und das eigene Ding
Wenn wir also jetzt zusammenfassen, wie wir für uns freie Liebe in unserer Beziehung leben können, dann finde ich 3 Punkte wichtig:
- Auch wenn es mal unangenehm werden kann: Sprecht über eure Gefühle. Nicht nur füreinander, auch für andere, wenn es mal so weit kommen sollte. Eifersucht ist etwas, mit dem es sich lohnt, zu beschäftigen!
- Seid bei diesen Gesprächen wirklich ehrlich miteinander. Fangt nicht an, euch Vorwürfe zu machen, wenn ihr etwas hört, was euch im ersten Moment vielleicht verletzt. Ihr bekommt viel im Gegenzug, denn durch Ehrlichkeit entsteht tiefes Vertrauen!
- Nicht jeder versteht unter Freiheit das Gleiche. Überlege dir, wie wichtig der Wert Freiheit für dich überhaupt ist und überlege dann, wie genau freie Liebe für dich aussieht!
Ich habe mir diese Fragen auch einmal gestellt und dabei sind ein paar Einstellungen herausgekommen.
Übernimm diese bitte nicht, sondern finde für dich eigene Entsprechungen!
Meine Glaubenssätze über Beziehungen und freie Liebe
Ich verbiete meinem Partner nichts und dieser verbietet mir auch nichts. Egal ob das Sex mit anderen, die Wahl meines Lieblingsgetränkes oder die Wochenendplanung ist
Ich erwarte von meinem Partner nicht, mich in jeder Sekunde und sein restliches Leben lang zu lieben. Wenn die Liebe lange hält: Gerne! Aber ich denke, dass das ohne Zwang wahrscheinlicher ist!
Ich möchte, dass mein Partner jederzeit genau das tut, was ihn glücklich macht. Egal ob er dafür spontan über mich herfällt, sich mit der besten Freundin trifft oder mal Lust auf jemand anderen hat
Wenn mein Partner plötzlich tendenziell nur noch Lust auf andere und keine Zeit für mich hat, dann könnte mir das zu wenig sein – dann steht meinem Partner frei, das genauso weiter zu machen und ich habe die Freiheit, meinen Partner loszulassen
Ich habe Respekt vor den Wünschen, Träumen und Gefühlen meines Partners. Daher äußere ich ebenfalls Wünsche, Vorschläge und Fragen. Entscheidungen treffen wir dann gemeinsam. Darunter auch, wie frei genau wir lieben wollen und ob beide mit den vier vorrangegangenen Punkten d’accord gehen!
So viel zu meinen Ansichten und zu Glaubenssätzen über die Liebe.
Was meinst du?
Viel Spaß auf dem Weg zu deiner glücklichen, aber nicht zu perfekten Beziehung!
Nils Terborg ist nicht nur Profizuhörer, Problemversteher und Lösungsfinder. Sondern er ist selbst ein Kopfmensch und weiß, dass sich Vernunft und Gefühle nicht immer reibungslos miteinander vertragen. Hier und in seinen Büchern schreibt er darüber, wie man in Liebesdingen vom Grübeln ins Tun kommt, eigene Schwächen zu Stärken machen kann und letztlich die glückliche, aber nicht zu perfekte Beziehung findet.